Auszug aus: Geschichtliche Entwicklung des Kunstradfahrens (Karl Bittendorf)
Das als Hallenradsport wettkampfmässig betriebene Kunst- und Reigenfahren hat eine lange Entwicklung hinter sich. Es begann um die Mitte der 80er Jahre des vorletzten Jahrhunderts. Bereits 1888 wurde der Deutsch-Amerikaner Nikolaus Kaufmann in den USA Weltmeister im Kunstradfahren. Die Wettkämpfe wurden damals von professionellen Fahrern ausgetragen. Die ersten Europameisterschaften wurden 1889 von Richard Schulz aus Altona (DE) gewonnen. In den folgenden Jahren wurden in Deutschland dann überwiegend vereinsinterne Meisterschaften durchgeführt, wobei sich immer mehr die Amateure in den Vordergrund schoben. Als etwa um 1895 das bis dahin benutzte Hochrad mehr und mehr verschwand und dem Niederrad Platz machen musste, erlebte das Kunst- und Reigenfahren einen neuen Aufschwung. Zur dieser Zeit entstand auch das Zweier-Kunstradfahren. Die Jahre von 1895 bis 1900 werden daher als die eigentlichen Geburtsjahre des Saalfahrens genannt, wobei der Europameister im Einer-Kunstfahren Paul Lüders aus Berlin als der Begründer des Saalfahrens genannt werden darf. In dieser Zeit erschien das beachtenswerte Buch „Die hohe Schule des Rades“ von Lothar Nitz (Berlin) dem „Das Saalfahren“ von Wilhelm Schmidt (Offenbach) folgte. Beide Bücher regten die Ausübung des Radfahrens an und eröffneten neue Wege für verschiedene Radsportarten. Eigenartigerweise führte diese starke Entwicklung des Saalfahrens aber nicht dazu, dass nun Wettkämpfe durchgeführt wurden. Nur von 1912 bis 1914 wurden Europameisterschaften im Einer-Kunstradfahren ausgetragen die von Toni Neuber und Paul Graf (beide Deutschland) gewonnen wurden.
Nach dem 1. Weltkrieg setzte bis zum Jahre 1921 eine für den Saalsport bedeutungsvolle Entwicklung ein, in deren Verlauf das bisher übliche Schaufahren mehr und mehr durch eine wettkampfmässige Ausübung abgelöst wurde.
Seit 1921 wurden in Deutschland, dem eigentlichen Geburtsland des heutigen Saalfahrens, vom Bund Deutscher Radfahrer Deutsche Meisterschaften ausgetragen. In diese Zeit fallen auch die ersten Versuche vom Saalfahren dieser Art in anderen Ländern. Dies vor allem in Nachbarländern mit deutschem Sprachraum. Seit 1928 wurden im Einer-Kunstradfahren Männer wieder Europameisterschaften ausgefahren, die aber von 1939 bis 1950 ausfallen mussten. Seit 1956 finden Weltmeisterschaften statt.
Nach dem 2. Weltkrieg nahm der Saalsport in Deutschland und anderen europäischen Ländern einen grossen Aufschwung. Dies wurde vom Radsport Weltverband UCI (Union Cycliste Internationale) am 01.03.1952 auf dem Kongress in Paris anerkannt. Die Internationale Hallenradsportkommission (IHRK) wurde geschaffen. Sie ist seither für die Belange des Saalsportes auf internationalem Gebiet verantwortlich. Die Erwartungen die mit der Gründung dieser Kommission in den Saalsport gesetzt wurden erfüllten sich teilweise. So wurden die internationalen Wettkämpfe auf mehr Disziplinen ausgedehnt. Diese positive Entwicklung konnte aber die Tatsache nicht verdecken dass der Saalsport bis 1971 nur in Mitteleuropa wettkampfmässig betrieben wurde. Mitte der 70er Jahre ersetzte man den altbackenen Sammelbegriff aller Radsportdisziplinen die im Saal ausgeführt wurden „Saalsport“ mit dem präziseren Begriff „Hallenradsport“.
Quelle: „Das Kunstradfahren“ von Ludwig Böhm und Hans Born, erschienen 1976 in Deutschland, Verlag Kesselring, Teningen.
Mit Japan kam 1972 die erste asiatische Nation hinzu. In den darauffolgenden Jahren konnten weltweit Kontakte mit über Fünfzig Nationen aufgebaut werden. Mit Höhepunkt an den Weltmeisterschaft 1988 in Ludwigshafen wo rund dreissig Nationen am Start waren. Leider ist seit dato eine Stagnation eingetreten. Grosse Hoffnungen wurden 2007 mit der Einführung eines neuen Wertungs-Systems in den Kunstradsport gesetzt. Starke asiatische Kunstradfahrer vor allem in den Einer-Disziplinen können aber leider nicht über Teilnehmerrückgänge und strukturelle Probleme in den Kernländern des Hallenradsportes hinwegtäuschen.
Die Führungsgremien des Kunstradfahrens sind nun gefordert den jungen Menschen die diesen wunderbaren Sport wählen einen würdigen Rahmen zur Ausübung ihrer Passion zu bieten!
Text: Hermann Martens, Hadlikon.